Die Europäische Kommission denkt seit geraumer Zeit über eine Änderung der europäischen Fusionskontrollverordnung nach. Insbesondere will sie für die Kontrolle über den Erwerb von nicht-kontrollierenden Minderheitsbeteiligungen zuständig sein. Dazu hat sie am 25. Juni ein Papier der Dienststellen (Staff Working Paper) veröffentlicht. Als weitere Reformpunkte spricht sie dort u.a. Einzelfragen des Verweisungssystems an. Die interessierte Öffentlichkeit ist um ihre Meinung gebeten, bis zum 12. September 2013. Es handelt sich um den ersten Schritt in Richtung Änderung der FKVO.
Aus der FKVO heraus hat die Kommission nur das Mandat, dem Rat über die Anwendung der Umsatzschwellen zu berichten und diesbezüglich Änderungsvorschläge zu machen (Art. 1 Abs. 4 FKVO, mißverständlich oft als Revisionsklausel bezeichnet). In ihrem Bericht aus dem Jahr 2009 äußerte sich die Kommission im Wesentlichen zufrieden mit dem Stand der Dinge, dachte laut über über Details des Verweisungsmechanismusses nach, ging das Thema Minderheitsbeteiligungen aber nicht an.
Jedoch: Als “Motor der Integration” befasst sich die Kommission mit der Fortentwicklung der EU-Fusionskontrolle insgesamt, seit je. Ihren ersten Vorschlag zur Einführung einer Fusionskontrolle (1973, nach Continental Can) lehnte der Ministerrat ab, ebenso einen überarbeiteten Entwurf aus dem Jahr 1988 (nach Philip Morris). Die “erste” FKVO wurde im Rat erst 1989 verabschiedet. Aus Sicht der deutschen Verhandlungsdelegation ging es bis zuletzt um die “Wahrung einer Restkompetenz der nationalen Behörden” (Held, Schwerpunkte 1989/1990, S. 55). 1998 trat eine Änderungsverordnung in Kraft. Dem ging 1996 ein Grünbuch der Kommission voraus. Die Kommission hatte zunächst nicht zu den Schwellenwerten Stellung genommen (dieses Mandat gab es bereits damals). Sie machte dann aber über die Schwellenwerte hinausreichende Änderungsvorschläge. Das Ergebnis war eine deutliche Ausweitung ihrer Zuständigkeit (Art. 1 Abs. 3 FKVO, Fusionskontrolle über Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen). Dieses Muster schien sich in den Jahren 2000 ff. zu wiederholen. Die Kommission überprüfte nicht nur die Schwellenwerte, sondern sah sich in ihrem Erfahrungsbericht an den Rat (2000) zu einer Generalrevision der Zuständigkeitsverteilung zwischen ihr und den Mitgliedstaaten veranlasst. Es folgte ein Grünbuch (2001), das auch das Untersagungskriterium (SIEC) in Angriff nahm. Das Grünbuch enthielt u.a. den Vorschlag, dass die Kommission automatisch zuständig sein sollte, wenn an sich drei oder mehr Mitgliedstaaten zuständig sind (ähnlich bereits das Grünbuch 1996). Es gab Widerstand unter den Mitgliedstaaten und Interessengruppen; außerdem drei spektatuläre Aufhebungen von Entscheidungen der Kommission (Airtours, Schneider und Tetra Laval). Im gedämpften Selbstbewusstsein ihres Verordnungsvorschlags von 2002 ruderte die Kommission teilweise zurück. In Bezug auf die Kompetenzverteilung beschränkte sie sich auf eine Neujustierung des Verweisungssystems. Die derzeit geltende FKVO trat im Mai 2004 in Kraft. Sie hat sich im Großen und Ganzen bewährt.
Die Fusionskontrolle der EU war also immer auch das Ergebnis eines zähen Ringens um die Zuständigkeit der Kommission bzw. den spiegelbildlichen Verlust an Zuständigkeit der nationalen Ebene: Nahezu jedes Plus für die Kommission ist insoweit ein Minus für die Mitgliedstaaten. Für Unternehmen kann ein solches Plus zwar von Vorteil sein, insbesondere zur Vermeidung von Mehrfachanmeldungen und inkonsistenten Verfahrensergebnissen. Es kann aber auch ein Minus sein, wenn mit Änderungen der FKVO unnötiger Mehraufwand und Zeitverlust verbunden sind.
Hierbei sollte man die FKVO nicht isoliert sehen. Zum einen ziehen die meisten Mitgliedstaaten bestimmte Änderungen der FKVO “freiwillig” im nationalen Recht nach. Zum anderen hat die FKVO faktisch Vorwirkungen. Bestimmte Verfahrensgestaltungen mögen für Unternehmen nur optional sein. Wenn sie zur Rechtssicherheit – lies: zur Reduzierung der von der FKVO erst geschaffenen Rechtsunsicherheit – beitragen, werden sie de facto zum Muß.
Warum das wichtig ist? Die aktuelle Konsultation kommt auf leisen Füßen daher. Lassen Sie sich davon nicht täuschen. Vielleicht versanden die in ihr angerissenen Themen. Wahrscheinlich ist dies nicht.