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Sebastian Peyer: UK – Reform der privaten Kartellrechtsdurchsetzung

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Kartellblog. berichtete bereits über die Pläne der britischen Regierung, opt out-Gruppenklagen im Kartellrecht einzuführen. Im Gegensatz zur Europäischen Kommission, die Gruppenklagen komplett aus dem Richtlinienvorschlag zum private enforcement im Kartellrecht ausgeklammert hat, ging das Department for Business Innovation & Skills (BIS) einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung und entschloss sich, das bestehende opt in-Modell in ein opt out-Modell umzuwandeln. Neben dem Blickfang der opt out-Klagen enthält die Consumer Rights Bill eine Reihe von Maßnahmen, die die Anreize für Kläger im Vereinigten Königreich verbessern könnten. Die meisten dieser Vorschläge – bis auf die Gruppenklagen – sind unproblematisch und beseitigen einige Schwachstellen im System.

Wichtige Änderungen betreffen die Kompetenzen des Competition Appeal Tribunal (CAT). Das CAT ist ein Spezialgericht, das für Beschwerden gegen die Entscheidungen der Wettbewerbsbehörde und der Sektorregulierer zuständig ist. Es dient auch als alternatives Klageforum zum High Court für follow on-Schadensersatzklagen. Allerdings wurde die kartellrechtliche Expertise des CAT bisher häufig von Verfahrensfragen in Anspruch genommen. Besonders problematisch waren die eng definierte Zuständigkeit des Tribunals und unklare Verjährungsregeln für follow on-Verfahren, die in vielen Entscheidungen erläutert werden mussten. Die Novelle sieht vor, die Kompetenzen des CAT auf Unterlassungsklagen, stand alone-Verfahren und Gruppenklagen auszuweiten sowie ein beschleunigtes Verfahren für einfachere (?) Kartellklagen zu schaffen. Der High Court behält seine Parallelzuständigkeit für Kartellzivilverfahren, allerdings kann nur das CAT über Gruppenklagen entscheiden. Nach der Novelle sollen Behördenentscheidungen der englischen Kartellbehörde und der Kommission auch vor dem High Court bindend sein. Bisher waren sie es nur in CAT-Verfahren.

Die opt out-Gruppenklage nach § 47B der Novelle soll ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich des CAT fallen. Das bisherige follow on / opt in-Modell würde vollständig von einer weitreichenden Klausel für Sammelklagen ersetzt werden. Die Novelle sieht vor, dass ein Kläger, der selbst nicht unbedingt betroffen sein muss, für eine Gruppe von Betroffenen vor dem CAT auf Schadensersatz klagen kann. Eine “class action” ist zulässig, wenn diese gleiche, ähnliche oder zusammenhängende tatsächliche oder rechtliche Umstände beträfe. Opt out-Klagen könnten nur für Geschädigte mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich geltend gemacht werden. Strafschadensersatz, wie ihn z.B. die Beklagte im Cardiff Bus-Fall zu zahlen hat, soll in opt-out class action nicht erlaubt sein. Nach dem derzeitigen Gesetzesvorschlag muss der Schadensersatz nicht einzeln für jedes Mitglied der betroffenen Gruppe errechnet werden. Schätzungen oder Schadensmodelle für die gesamte Gruppe dürften genügen. Die Kosten für das Verfahren soll der Verlierer tragen. Im Unterschied zu gewöhnlichen Klageverfahren vor dem High Court oder dem CAT schließt § 47C(7) der Novelle Honorarvereinbarungen aus, die sich nach der Höhe des eventuellen Schadensersatzbetrags richten (z.B. 30 % von Summe x). No win no fee-Vereinbarungen sollten jedoch als eine Möglichkeit zur Finanzierung von opt out-Klagen verbleiben.

Der Entwurf des BIS ist, was den opt out-Teil angeht, mutig. Unklar ist, warum BIS auf diese Linie eingeschwenkt ist. Die negativen Erfahrungen der Verbraucherorganisation Which mit der bisher einzigen opt in-Gruppenklage dürften dabei eine Rolle gespielt haben, genauso wie der gescheiterte Versuch der Kläger in Emerald Supplies, eine opt out-Gruppenklage in bestehende zivilprozessuale Regeln hineinzulesen. Die meisten Vorschläge sollten die Parlamentsdebatten überstehen dürfen. Werden dem CAT diese umfangreichen Befugnisse in kartellrechtlichen Streitigkeiten eingeräumt werden, korrigiert die Regierung bizarre Zuständigkeitsprobleme, die durch den Enterprise Act 2002 geschaffen wurden. Die Expertise des CAT bei der Beurteilung materiellrechtlicher Fragen würde nun richtig zur Geltung kommen.

Aber was wird mit den kontroversen opt out-Vorschlägen passieren? Diese Frage ist wesentlich schwieriger zu beantworten. Die Debatte wurde und wird emotional und mit dem beliebten (aber schiefen) Verweis auf das Unwesen amerikanischer Gruppenklagen geführt. Bei den Gruppenklagen in ihrer jetzigen Form hakt es an mehreren Stellen. Konzeptionell ist es schwierig zu erklären, warum diese Klage nicht in das allgemeine Zivilprozessrecht eingebunden wurde. Die Frage, warum es einer Gruppenklage ausschließlich im Kartellrecht bedarf, stellt sich hier zu Recht. BIS hat während der Anhörung und Konsultation betont, dass es keine “amerikanische” class action geben wird. Sollte BIS damit gemeint haben, die zulässige Klägergruppe noch enger als im amerikanischen Recht zu definieren (und U.S. class certification ist kein Zuckerschlecken!), dürfte der Gesetzesvorschlag den eigenen Ansprüchen nicht genügen. Klagen für gleiche, ähnliche oder zusammenhängende tatsächliche oder rechtliche Umstände umfassen ein Vielzahl von wenig gleichen Klägern. Es bestünde also die Gefahr, dass die Gruppe relativ groß und unübersichtlich wird. BIS hat auch betont, dass die Klagebefugnis beschränkt werde solle, um Missbrauch zu verhindern. Nach der derzeitigen Formulierung dürften aber auch Vereine oder Anwälte, die nicht betroffen sind, mit der Zustimmung des CAT eine Gruppenklage verfolgen. Es bleibt auch abzuwarten, ob Unternehmen oder Anwälte bereit wären, trotz der vorgeschlagenen Beschränkungen eine solche Klage zu finanzieren.

Sebastian Peyer ist Post Doctoral Research Fellow am Centre for Competition Policy, University of East Anglia, Norwich.

     

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