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Wendelin Moritz: Zwei Überlegungen, die wir aus EuGH „Coty“ mitnehmen können

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Die Analyse der Entscheidung des EuGH vom 6.12.2017 in der Rechtssache C‑230/16 Coty und der dazugehörigen Schlussanträge von Generalanwalt Wahl vom 26. Juli 2017 hat u.a. folgende bemerkenswerte Erkenntnisse geliefert:

1. Selbst ein pauschales Plattformverbot kann zulässig sein!

Mangels einer Vertragsbeziehung mit dem Plattformbetreiber hat ein Hersteller (Anbieter) keine Möglichkeit, vom Plattformbetreiber die Einhaltung von Qualitätsanforderungen zu verlangen, die der Hersteller den autorisierten Händlern auferlegt hat. Aus diesem Grund hält der EuGH einen Hersteller nicht für verpflichtet, es den autorisierten Händlern – anstelle eines pauschalen Plattformverbots – zu gestatten,

solche Plattformen unter der Bedingung einzuschalten, dass diese vordefinierte Qualitätsanforderungen erfüllen“ (Rn. 56).

Mit anderen Worten: Der EuGH mutet es Herstellern (Anbietern) nicht zu, im Falle eines Verstoßes einer Drittplattform gegen eine mit dem Händler vereinbarte Qualitätsanforderung auf eine Mitwirkung des autorisierten Händlers (als Vertragspartner des Plattformbetreibers) beim Abstellen oder Ahnden des Verstoßes angewiesen zu sein. Der fehlende unmittelbare vertragliche Zugriff des Herstellers (Anbieters) auf den Plattformbetreiber liefert vielmehr schon ausreichend Grundlage dafür, Plattformen umfassend und pauschal zu verbieten. Dies natürlich nur unter der Bedingung, dass die im vorliegenden Urteil (Rn. 24-51) ein weiteres Mal ausführlich dargelegten sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen, das Verbot von Drittplattformen nicht unter Art 101 Abs 1 AEUV zu subsumieren.

Versperrt ist Plattformen und Händlern in Zukunft damit wohl insbesondere das folgende Argument: Ein Plattformverbot ist für die Sicherstellung eines Luxusimages (oder einer anderen schützenswerten Eigenschaft, wie etwa der Produktqualität) nicht unerlässlich, weil der Hersteller (Anbieter) den Händlern als gelinderes Mittel ja stattdessen detaillierte Qualitätsanforderungen vorschreiben könnte, die erlaubterweise in Anspruch genommene Drittplattformen zu erfüllen hätten.

Dies legt eine Überprüfung der Beratungspraxis nahe, Herstellern (Anbietern) von pauschalen Plattformverboten abzuraten und als Alternative dazu möglichst präzise Qualitätsanforderungen zu empfehlen. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten: Denn der BGH hat – schon unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung Coty – ein pauschales Verbot von Preisvergleichsmaschinen als Kernbeschränkung gemäß Art 4 lit c Vertikal-GVO qualifiziert (BGH, Beschluss vom 12.12.2017, KVZ 41/17, ASICS), u.a. deshalb, weil dieses Verbot mit zwei weiteren Verboten kombiniert war: Einerseits mit dem Verbot, es Dritten zu gestatten, die Markenzeichen des Herstellers ASICS auf der Internetseite dieses Dritten zu verwenden (à keine Online-Werbung durch den Händler auf fremden Seiten oder Plattformen), andererseits mit einer sog. „Logo-Klausel“ (de facto: Drittplattformverbot). Diese Kombination führe laut BGH dazu, dass der Zugang zum Online-Angebot des Händlers nicht mehr gewährleistet sei (Rn. 30), anders als im vom EuGH zu entscheidenden Fall.

Es scheint also, als nähme der BGH hier eine Abwägung vor (um dem EuGH nicht zu widersprechen): Solange es beim reinen Drittplattformverbot bleibt und der Händler Preisvergleichsmaschinen nutzen und Werbung auch auf Seiten Dritter schalten darf (à Coty), darf das Drittplattformverbot auch pauschal sein, weil der Hersteller keinen vertraglichen Zugriff auf den Plattformbetreiber hat. Sobald die Reichweite des Händlers durch weitere Verbote aber zusätzlich eingeschränkt wird (à ASICS), muss der Hersteller in jedem Fall von der Pauschalität der Verbote abrücken, womöglich aber einzelne Verbote überhaupt aufgeben. Besonders problematisch ist die Kombination mit dem Werbeverbot auf Seiten Dritter, weil gerade in der Werbung auf hoch frequentierten Seiten für „kleine“ Händler der Hebel zur Reichweitenerhöhung liegt.

2. Bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen sind keine Kernbeschränkungen!

Hand aufs Herz: Welcher Praktiker kennt den Inhalt und Bedeutungsgehalt des oft nur „überflogenen“ Eingangssatzes des Artikel 4 Vertikal-GVO Nr. 330/2010 genauso gut wie die in weiterer Folge unter den Buchstaben a)-e) einzeln aufgezählten Kernbeschränkungstatbestände selbst?

Im Eingangssatz des Artikel 4 heißt es:

Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die (…) Folgendes bezwecken:..“

Die Betonung liegt hier am letzten Wort: Generalanwalt Wahl hat in seinen Schlussanträgen vom 26. Juli 2017 daran erinnert, dass auch im Bereich der Kernbeschränkungstatbestände der Vertikal-GVO Nr. 330/2010 zwischen „bezweckten“ und „bewirkten“ Zuwiderhandlungen unterschieden werden müsse (Rn. 135). Der Grund liege auch hier darin, dass bestimmte Formen der Kollusion zwischen Unternehmen erfahrungsgemäß schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden können. Generalanwalt Wahl betont nun, dass es kein Zufall sei, dass in Artikel 4 Vertikal‑GVO Nr. 330/2010 gerade nicht von „bezwecken oder bewirken“ die Rede ist, sondern nur von „bezwecken“: Denn das Ziel der Vereinfachung der von den betroffenen Unternehmen verlangten kartellrechtlichen Selbstbewertung wäre gefährdet, müssten diese Unternehmen eine eingehende Prüfung – insbesondere im Wege einer kontrafaktischen Analyse – der Auswirkungen der beabsichtigten Maßnahmen auf die Struktur des betroffenen Marktes durchführen (Rn. 136). Darin sieht auch Nolte (in Langen/Bunte, Kartellrecht II12, Nach Art. 101 AEUV Rn. 409) den Grund für die Beschränkung auf das „Bezwecken“ in Art 4, wenngleich Nolte meint, dass das Bezwecken und Bewirken einer Wettbewerbsbeschränkung häufig nahe beieinander lägen. Das kann stimmen oder auch nicht stimmen, ändert aber jedenfalls nichts daran, dass die Behörden und Gerichte (und hier auch Generalanwalt Wahl) – etwa auch bei der Ausnahme für Bagatellkartelle – zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen sehr wohl unterscheiden.

Später, bei der konkreten Prüfung der von der Vorlagefrage des OLG Frankfurt a.M. umfassten Kernbeschränkungstatbestände b) und c), kommt Generalanwalt Wahl dann unter Rückgriff auf diese Überlegung zum Schluss, dass der erklärte Zweck des beanstandeten Plattformverbots darin bestand, den luxuriösen Charakter der Vertragswaren dadurch zu erhalten, dass der Internetverkauf über ein „elektronisches Schaufenster“ des Geschäfts des Einzelhändlers erfolgen muss (Rn. 148). Hingegen war es nicht der Zweck des beanstandeten Plattformverbots, den Markt durch die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in dem oder an die die autorisierten Händler verkaufen dürfen, aufzuteilen (Rn. 148), oder den passiven Verkauf an Endverbraucher zu beschränken (Rn. 153).

Bedauerlicherweise hat der EuGH dieses Argument nicht weiter aufgegriffen, weil er die Kernbeschränkungstatbestände schon aus anderen Gründen nicht als erfüllt ansah. Auch in der ASICS-Entscheidung des BGH wird darauf nicht eingegangen, wobei diese Verteidigungslinie aufgrund der „Fülle an Verboten“ wohl ohnehin schwierig geworden wäre: Denn der Online-Verkauf ausschließlich über ein „elektronisches Schaufenster“ rechtfertigt wohl kaum ein Verbot, auf Seiten Dritter Werbung zu schalten.

Dennoch lohnt es, auf diese Überlegung aufzubauen und sich zu erinnern: Es reicht nicht, dass eine Klausel einen jener Zustände, der in den Kernbeschränkungstatbeständen erwähnt wird, bewirkt, die Klausel muss diesen Zustand bezwecken, um zum Entfall der Freistellung zu führen.

Dr. Wendelin Moritz ist Rechtsanwalt bei Schneider & Schneider in Wien und betreibt den Blog „Wir vermessen Vertriebsrecht.“


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